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Disability Dongles: Gut gemeint, aber …

Inhaltsverzeichnis

Das Wichtigste in Kürze

  • Disability Dongles sind gut gemeinte, aber oft unpraktische Hilfsmittel.
  • Diese Technologien entstehen ohne die Einbeziehung der betroffenen Personen.
  • Nachhaltige Barrierefreiheit erfordert Co-Design und echte Inklusion.

Über den Begriff Disability Dongle bin ich durch ein Schulungsvideo zum Thema Website-Overlays gestolpert. Mit der näher rückenden Pflicht zur barrierefreien Website werden wir vermutlich noch häufiger mit solchen Disability Dongles zu tun haben. Was es damit auf sich hat, erkläre ich Dir in diesem Beitrag. Los geht’s!

Was ist ein Disability Dongle?

Der Begriff „Disability Dongle“ beschreibt Technologien oder Hilfsmittel, die von nicht behinderten Menschen entwickelt werden, um Menschen mit Behinderungen zu „helfen“. In der Praxis bringen sie jedoch oft wenig Nutzen oder sind unpraktisch. Diese Erfindungen beruhen meist auf falschen Annahmen und mangelnder Einbindung der betroffenen Zielgruppe. Der Begriff wurde von der Aktivistin Liz Jackson geprägt und kritisiert den Innovationsdrang, der sich mehr auf technische Machbarkeit als auf tatsächliche Bedürfnisse konzentriert.

Fünf Beispiele für Disability Dongles

Der Treppen-Rollstuhl

Ein Rollstuhl, der Treppen hinauf- und hinabfahren kann, ist auf den ersten Blick innovativ. Doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich viele Probleme. Diese Geräte sind oft kostspielig, unhandlich und schwer zu manövrieren. Sicherheit ist ein weiterer kritischer Punkt, da diese Rollstuhlerhöhungen ein hohes Risiko für Stürze und Verletzungen bergen.

Eine nachhaltig bessere Lösung wäre eine barrierefreie Infrastruktur mit Rampen und Aufzügen, die nicht nur sicherer, sondern auch kosteneffizienter und praktischer ist.

Der Blinden-Smartstock

Ein intelligenter Blindenstock, der mit GPS, Sprachausgabe oder Kamera zur Hinderniserkennung ausgestattet ist, klingt zunächst nach einer großartigen Idee. Doch viele blinde Menschen ziehen bewährte Hilfsmittel wie traditionelle Blindenstöcke oder Blindenhunde vor. Denn diese neuen Geräte sind oft schwerfällig, technisch anfällig und teuer.

Blinde Menschen benötigen verlässliche, einfache und bewährte Werkzeuge, die ihnen im täglichen Leben wirklich weiterhelfen.

Sprachübersetzungs-Apps für Gehörlose

Die Idee, gesprochene Sprache in Text umzuwandeln oder Gebärdensprache automatisch zu übersetzen, klingt faszinierend und vielversprechend. Doch Gebärdensprachen sind sehr komplex und nicht linear in geschriebene Texte übertragbar, was hohe Fehlerraten verursacht.

Viele Gehörlose bevorzugen aufgrund der geringeren Fehlerquote weiterhin den Einsatz von Dolmetschenden oder barrierefreien Kommunikationsmethoden.

Exoskelette für Menschen mit Gehbehinderungen

High-Tech-Roboteranzüge, bekannt als Exoskelette, sollen querschnittgelähmten Menschen das Gehen ermöglichen. Auf den ersten Blick erscheint dies wie eine revolutionäre Technologie, die das Leben vieler Menschen verbessern könnte.

Aber diese Exoskelette sind nicht nur kostspielig, sondern auch schwer und benötigen viel Energie, um zu funktionieren. Außerdem möchten viele Rollstuhlnutzende gar nicht „wieder laufen“, sondern wünschen sich vielmehr eine barrierefreie Umwelt und gesellschaftliche Akzeptanz.

3D-gedruckte Rollstühle für Entwicklungsländer

3D-Drucktechnologie bietet viele Möglichkeiten, und die Idee, kostengünstige, 3D-gedruckte Rollstühle für Menschen in ärmeren Ländern zu schaffen, wirkt zunächst wie ein wertvolles Unterfangen. Doch in der Praxis haben sich diese Rollstühle oft als nicht stabil genug und ungeeignet für unebene Böden erwiesen. Sie bieten keine ausreichende Federung und sind nicht individuell an die Bedürfnisse der Nutzenden angepasst.

Individuell angepasste Rollstühle wären praktischer und nachhaltiger, auch wenn sie teurer in der Herstellung und Logistik sind.

Das normative Problem der Disability Dongles

Ableismus & Paternalismus

Disability Dongles basieren oft auf Ableismus (Diskriminierung oder Benachteiligung aufgrund von Behinderung), also der Annahme, dass Behinderung ein Defizit sei, das behoben werden müsse. Entwickelnde setzen sich über die Expertise von Menschen mit Behinderungen hinweg und agieren aus einer paternalistischen Perspektive für eine passive Gruppe von Menschen.

Normatives Problem: Dies verletzt das Prinzip der Selbstbestimmung und der Inklusion, wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) festgeschrieben sind.

Design ohne Co-Design

Viele Disability Dongles entstehen ohne direkte Einbeziehung der betroffenen Personen. Die Entwickler*innen treffen Annahmen über Behinderung, ohne mit Menschen mit Behinderungen zusammenzuarbeiten.

Normatives Problem: Dies widerspricht dem Prinzip von „Nothing About Us Without Us“, einer zentralen Forderung der Behindertenrechtsbewegung.

Ökonomie: Marktlogik versus echte Lösungen

Disability Dongles sind oft teure, medienwirksame Gadgets, die als innovative Produkte verkauft werden. Gleichzeitig bleiben bewährte, oft günstigere Lösungen unterfinanziert oder ignoriert.

Normatives Problem: Wenn Barrierefreiheit als „Marktlücke“ statt als Grundrecht betrachtet wird, profitieren Unternehmen auf Kosten der Betroffenen.

Symbolische Inklusion statt struktureller Barrierefreiheit

Disability Dongles lenken von strukturellen Problemen ab. Ein Treppen-Rollstuhl ist eine Lösung für ein strukturelles Problem, das Gebäude nicht barrierefrei sind.

Normatives Problem: Dies widerspricht dem Konzept des Universal Design, das in den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) und der UN-BRK verankert ist.

Falsche mediale Repräsentation & Inspiration Porn

Disability Dongles werden oft als „spektakuläre Innovationen“ gefeiert, obwohl sie in der Praxis nicht genutzt werden. Die mediale Darstellung solcher Erfindungen verstärkt Stereotype über Behinderung als „tragisches Problem“, das durch Technik „gelöst“ werden muss.

Normatives Problem: Anstatt gesellschaftliche Barrieren zu hinterfragen, wird Behinderung als individuelles Problem dargestellt.

Die bessere Alternative: Co-Design & Universal Design

Wie können wir es besser machen? Lösungen für Menschen mit Behinderungen müssen mit ihnen entwickelt werden. Denn Barrierefreiheit ist keine Nische oder Wohltätigkeit, sondern ein Menschenrecht (siehe Barrierefreiheit-Gesetze). Anstatt Symptome zu bekämpfen, sollten strukturelle Probleme gelöst werden.

Fazit

Auch wenn das Thema in der Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit anders beurteilt werden wird: Stand Heute sind Disability Dongles wohl tatsächlich nur gut gemeinte, aber nutzlose Hilfsmittel. Anstatt Disability Dongles zu entwickeln, sollten wir uns auf nachhaltige Barrierefreiheit konzentrieren. Das bedeutet, dass nicht einzelne Produkte Behinderungen „kompensieren“ sollen, sondern die Gesellschaft inklusiver wird – sei es durch barrierefreie Städte, bessere digitale Zugänglichkeit oder soziale Akzeptanz. Denn die beste Lösung ist die, die Menschen mit Behinderungen wirklich weiterhilft.

Davon abgesehen kann ich ohnehin nicht nachvollziehen, wieso Produkte entwickelt werden, ohne die Zielgruppe vorher zu befragen. Das ist klassische Marktforschung und sollte vor jeder Produktentwicklung stehen.